Bedingt reformfähig? 70 Jahre Grundgesetz

Eine Verfassung sollte nicht kurzfristigen Trends unterworfen sein. Wenn sie sich aber zu sehr von der Gesellschaft abkoppelt, besteht die Gefahr sinkender Akzeptanz. Wie reformfähig ist das deutsche Grundgesetz? Darüber diskutierten die Gäste beim Gespräch im Park in der Robert Bosch Stiftung mit Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Astrid Lorenz.

Robert Bosch Stiftung | Oktober 2018

Das Grundgesetz ist die Grundlage für unseren Staat und die Basis für unser Zusammenleben. Seit sieben Jahrzehnten ermöglicht es einen friedlichen Interessenausgleich in Deutschland. Doch trägt es in seiner heutigen Form auch für die Zukunft? Oder muss es weiterentwickelt werden? Beim „Gespräch im Park“ der Robert Bosch Stiftung analysierte die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Astrid Lorenz von der Universität Leipzig die bisherigen Änderungen des Grundgesetzes und gab einen Einblick in die verfassungspolitische Praxis.

Lorenz stellte heraus, dass das Grundgesetz die zentralen Momente der bundesdeutschen Geschichte kaum widerspiegelt – sowohl die Wiedervereinigung als auch die Europäische Integration finden nur marginal ihren Niederschlag. Auch der gesellschaftliche Wandel ließe sich an den rund 60 Verfassungsänderungen kaum ablesen. Vielmehr waren es zumeist Fragen des politischen „Alltagsgeschäfts“, zum Beispiel im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, die politische Akteure veranlasst haben, ins Grundgesetz einzugreifen.

Die Akzeptanz des Grundgesetzes stärken

Astrid Lorenz sieht jetzt die Zeit gekommen für eine breite gesellschaftliche Debatte über die Verfassung, die auch Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Migration aufgreife. „Anhand des Grundgesetzes sollten wir darüber sprechen, wie wir künftig leben wollen.“ Dies könne auch dazu beitragen, die Akzeptanz des Grundgesetzes zu stärken und seine Bindekraft in einer immer vielfältigeren Gesellschaft zu erhöhen. Ein geschriebener Verfassungstext reiche dafür aber bei Weitem nicht aus. „Wir brauchen zusätzlich eine lebendige Rechtskultur, in der sich die Menschen über die Inhalte der Verfassung austauschen.“

Kritisch sieht Lorenz, dass mehr und mehr politische Themen durch Gerichte statt durch gewählte Volksvertreter entschieden werden. Richtersprüche seien entgegen landläufiger Meinung eben nicht vollkommen neutral, sondern von Menschen geprägt, die nicht demokratisch legitimiert seien – eine zugespitzte These, die den Anstoß zu einer lebendigen Diskussion mit dem Publikum gab.