America First, Europe Alone?
Beim Jahreskonvent der Brookings – Robert Bosch Foundation Transatlantic Initiative diskutierten die Teilnehmer über den aktuellen Stand und die Zukunft der transatlantischen Beziehungen.
Das transatlantische Verhältnis befindet sich in einer Krise. Die traditionelle Allianz zwischen den USA und Europa, die über Jahrzehnte die Weltordnung mitprägte und bestimmte, ist mittlerweile längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Der Rückzug der amerikanischen Regierung aus dem Pariser Klimavertrag, die Ankündigung Washingtons, sich nicht länger an das Atomabkommen mit dem Iran halten zu wollen, und der Dauerstreit in Handelsfragen strapazieren die Beziehungen über den Atlantik zunehmend.
Grund genug für die Brookings Institution, gemeinsam mit dem konservativen Think Tank The Hudson Institute und der Robert Bosch Stiftung im Rahmen des Jahreskonvents der Brookings – Robert Bosch Foundation Transatlantic Initiative (BBTI) zu einem Expertenworkshop sowie einer Panel-Diskussion unter der Leitfrage „America First, Europe alone?“ zu laden, um die Zukunft der transatlantischen Beziehungen zu besprechen.
Was die Diskutanten sagen
Driften Amerika und Europa auseinander?
An aktuellen Aufhängern mangelte es nicht. Erst am Vorabend des Events hatte die amerikanische Regierung angekündigt, Strafzölle auf den Import von Automobilen zu prüfen – eine Maßnahme, die viele europäische Partner der USA stark treffen würde, allen voran Deutschland. Wenige Stunden später folgte der nächste Paukenschlag: Am Vormittag sagte Trump das avisierte Treffen mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un ab, bei dem die beiden über das Atomprogramm des asiatischen Staates verhandeln wollten. „Es ist ein interessanter Tag für Außenpolitik“, sagte Bruce Jones, Vice President and Director Foreign Policy Program der Brookings Institution, in seinen einführenden Worten vor rund 150 Gästen im vollbesetzten Auditorium der Brookings Institution.
Jones äußerte seine Sorge über das Auseinanderdriften von Amerika und Europa. Dass etwa mit Blick auf das Iran-Abkommen die beteiligten europäischen Staaten heute inhaltlich näher an der Seite Russlands und Chinas stünden als bei den Vereinigten Staaten, sei noch vor kurzer Zeit „undenkbar gewesen“.
Uneinigkeit ist die "neue Normalität"
Von „turbulenten Zeiten“ sprach auch Christian Hänel, Senior Vice President International Relations America and Asia der Robert Bosch Stiftung, in seinem Grußwort. Uneinigkeit etwa zwischen Deutschland und den USA sei zu einer „neuen Normalität“ geworden, beispielsweise in Handelsfragen. Trotzdem blieb Hänel optimistisch. „Europa und die USA sind in der Vergangenheit immer wieder durch Höhen und Tiefen gegangen. Es besteht kein Zweifel daran, dass wir gerade auf der offiziellen Ebene eine besonders schwierige Zeit erleben. Aber gleichzeitig sind die zivilgesellschaftlichen Kontakte und das Interesse an Austausch und Kooperation, vor allem auf Ebene der Bundesstaaten, Bundesländer und Städte, so gut wie nie zuvor.“
Ob dies ausreichen wird, um die transatlantischen Beziehungen sicher über die kommenden Jahre zu bringen, da waren sich die Panel-Teilnehmer nicht sicher. Sollten die USA und Europa in den kommenden Jahren weiter auseinanderdriften, dürfte es auch nach dem Ende der Amtszeit Donald Trumps schwer werden, die ehemaligen Partner wieder zusammenzuführen. Es sei, wie „wenn der Freund aus Highschool-Tagen vier Jahre aufs College geht und dann plötzlich wieder vor der Tür steht“, beschrieb Amanda Sloat, Robert Bosch Senior Fellow am Center on the United States and Europe der Brookings Institution, die Situation. Man könne dann nicht einfach weitermachen wie bisher. „Auch das eigene Leben hat sich in dieser Zeit verändert.“
Sorgen bereitet Sloat zudem, dass das Auseinanderdriften auf beiden Seiten des Atlantiks zu spüren sei. In Brüssel würde das Verhältnis zu den USA derzeit so beschrieben, wie das amerikanische Außenministerium in der Vergangenheit über die Beziehungen zur Türkei gesprochen habe: „Zusammenarbeit in Bereichen von gemeinsamem Interesse, Meinungsverschiedenheiten offen ansprechen, aber den eigenen Werten treu bleiben.“ Hinzu kämen die Probleme, die der Kontinent mit sich selbst habe. „Europa ist eine schlechte Wahl davon entfernt, dort anzukommen, wo die USA jetzt schon sind.“
Transatlantische Beziehung am Scheidepunkt
Auch Edward Luce, Washington Post Kolumnist and Kommentator der Financial Times, sieht die Divergenzen bereits die Debatte übernehmen. „Allein schon auf diesem Panel beschäftigen wir uns heute mit ganz anderen Fragen, als wir sie noch wie vor wenigen Jahren diskutiert hätten“, so Luce. Statt über das Freihandelsabkommen TTIP oder eine gemeinsame Strategie im Umgang mit Russlands Präsident Wladimir Putin spreche man heute über den grundsätzlichen Zusammenhalt des Westens.
Man befinde sich tatsächlich an einem Scheidepunkt, sagte Constanze Stelzenmüller, seit 2014 Robert Bosch Senior Fellow am Center on the United States and Europe der Brookings Institution. Auch in den vergangenen Jahrzehnten habe es immer wieder Streit zwischen Europa und den USA gegeben – etwa über den Einsatz militärischer Gewalt. Damals habe man jedoch vorwiegend darüber gestritten, welche unterschiedlichen Mittel am besten zu einem ansonsten gemeinsamen Ziel führen, so Stelzenmüller. „Heute streiten wir über die Ziele.“ Dies mache diesen Moment besonders disruptiv – „und es könnte in den kommenden Wochen und Monaten noch deutlich schlimmer werden“, so Stelzenmüller weiter.
"Für die Europäer stellt sich damit die Frage: Wehren wir uns?"
Um dieser Entwicklung etwas entgegenzustellen, müsse vor allem Europa wieder zusammenfinden, erklärte Célia Belin, Visiting Fellow am Center on the United States and Europe der Brookings Institution. Der Brexit und der Aufstieg des Populismus auf dem Kontinent habe die Europäische Union zutiefst verunsichert. „Dinge, die früher funktioniert haben, funktionieren nicht mehr“, so Belin. Dies geschehe ausgerechnet in einem Moment, in dem die Vereinigten Staaten Europa nicht mehr in erster Linie als Partner ansehen, sondern als Konkurrenten. „Für die Europäer stellt sich damit die Frage: Wehren wir uns? Wie sehr wehren wir uns? Und was sind unsere Ziele?“, so Belin weiter. Aus ihrer Sicht sei jedoch klar, dass der Kontinent nur vereint bestehen könne. „Es ist leichter, wenn man zusammensteht.“
Also künftig vor allem Konfrontation statt Kooperation mit den USA? Kenneth R. Weinstein, President and CEO des Hudson Institutes sieht das anders. Es gebe durchaus Themenfelder, auf denen Europa und die USA konstruktiv zusammenarbeiten könnten, sagte er. „Ein Beispiel ist die Reform der Welthandelsorganisation“, so Weinstein. Dort könnten Amerikaner und Europäer an einem Strang ziehen.
Die anderen Panelisten teilten Weinsteins Optimismus nicht. Die einhellige Erwartung der Gesprächsteilnehmer war, dass auch die nächsten Jahre im transatlantischen Verhältnis sehr schwierig werden dürften.