Pressemeldung

Neues SVR-Jahresgutachten: Wie lässt sich mit Einwanderungs- und Integrationsgesetzen Migration besser steuern und Integration fördern?

  • Das SVR-Jahresgutachten 2018 lotet aus, welche gesetzgeberischen Möglichkeiten bestehen, um Migration zu steuern und die gesellschaftliche Teilhabe aller zu fördern. Es fasst die bestehende Gesetzeslage auf nationaler und EU-Ebene zusammen und weist auf politische Handlungsfelder sowie die Grenzen der Gestaltung hin. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) schlägt vor, im Rahmen eines Einwanderungsgesetzbuchs v. a. beruflich qualifizierten Fachkräften die Zuwanderung zu erleichtern. Integration sollte als Querschnittsaufgabe verstanden werden: Grundsätzlich sind gut angepasste Regelsysteme speziellen Integrationsmaßnahmen vorzuziehen. Der Bund sollte ein Integrationsmonitoring gesetzlich verankern, die Ressorts besser koordinieren und die Kommunen bei ihrem erfolgreichen Einsatz für Integration unterstützen. Letztere sollten ihre Integrationsmaßnahmen stärker aufeinander abstimmen. Auf allen föderalen Ebenen sollten sich die Verwaltungen interkulturell weiter öffnen.


Berlin, 24. April 2018. Die neue Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, gleiche Teilhabechancen für alle zu schaffen, die hierzulande leben, und Fachkräften die Einwanderung zu erleichtern. Ihr Anliegen, Einwanderung und Integration stärker zu steuern, ist nachvollziehbar. Denn die Gesellschaft diskutiert gegenwärtig wieder über den Nutzen, den neue Gesetze mit sich brächten – insbesondere vor dem Hintergrund, dass in den Jahren 2015 und 2016 eine erheblich Zahl Flüchtlinge nach Deutschland gekommen ist. Das SVR-Jahresgutachten 2018 „Steuern, was zu steuern ist: Was können Einwanderungs- und Integrationsgesetze leisten?“ analysiert die Chancen, die Einwanderungs- und Integrationsgesetze bieten, aber auch die Grenzen der Steuerungsfähigkeit, und spricht politische Empfehlungen aus, wie die Regierung die von ihr selbst gesteckten Ziele erreichen könnte.

Für die Migrationspolitik empfiehlt der SVR:

Ein Einwanderungsgesetzbuch könnte die bestehenden Regelungen zur Zuwanderung zusammenfassen, vereinfachen und systematisieren. Dies würde es der Bevölkerung hierzulande ebenso wie Interessierten im Ausland erleichtern, das bislang auf verschiedene Gesetze verteilte Zuwanderungsrecht besser zu verstehen. Ein solches Gesetz signalisiert zudem, dass Deutschland sich als Einwanderungsland begreift. Dabei sollte das bestehende Recht an einer entscheidenden Stelle verändert werden: Die Zuwanderungsmöglichkeiten für beruflich qualifizierte Fachkräfte sollten mit Blick auf den steigenden Fachkräftebedarf ausgebaut werden.

Derzeit findet die Erwerbsmigration nach Deutschland hauptsächlich über die EU-Freizügigkeit statt: EUStaatsangehörige können sich innerhalb der Union frei bewegen und eine Arbeit aufnehmen. Diese Arbeitskräftezuwanderung wird allerdings in Zukunft unter anderem aufgrund der gut dokumentierten demografischen Entwicklung im EU-Raum voraussichtlich an Bedeutung verlieren. Entsprechend wichtig ist es für Deutschland, sich aktiv für die verstärkte Gewinnung von Drittstaatsangehörigen aufzustellen. Im Bereich der akademisch ausgebildeten Fachkräfte ist dies bereits erfolgt: Für Studieninteressierte und Hochschulabsolventinnen und -absolventen bietet das deutsche Recht viele Perspektiven. Die hiesigen Zuwanderungsregelungen für hoch qualifizierte Fachkräfte gehören mittlerweile zu den liberalsten weltweit. Weitreichende Reformen für diese Gruppe hält der SVR entsprechend für unnötig; sie wären angesichts der europäischen Vorgaben auch schwer umzusetzen. Nachholbedarf gibt es hingegen bei den beruflich qualifizierten Fachkräften.

Prof. Dr. Thomas Bauer, der Vorsitzende des SVR, erläutert: „Grundsätzlich müssen im Ausland erworbene Qualifikationen als gleichwertig zu deutschen Standards anerkannt werden, bevor jemand aus einem Land außerhalb der EU einen Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit erhält. Im akademischen Bereich ist das vergleichsweise problemlos möglich. Für beruflich qualifizierte Fachkräfte wie Altenpfleger oder Mechatronikerinnen ist es dagegen schwieriger. Der Gleichwertigkeitsnachweis stellt für viele eine zunächst kaum zu überwindende Barriere dar, denn die in Deutschland etablierten Ausbildungsstrukturen sind im Ausland kaum verbreitet. Der SVR schlägt daher ein Pilotprojekt mit dem Namen ‚Nimm2+‘ vor. Damit sollen vorhandene Ausbildungsstandards nicht aufgegeben werden. Es soll allerdings möglich werden, flexibler als bislang mit der Gleichwertigkeitsvorgabe umzugehen: Fachkräfte, die im Ausland eine Ausbildung abgeschlossen haben und einen Arbeitsvertrag vorlegen können, sollen auch ohne Gleichwertigkeitsnachweis nach Deutschland kommen und hier arbeiten können, wenn sie stattdessen mindestens eine andere Voraussetzung erfüllen. Ein mögliches Kriterium sind fortgeschrittene Deutschkenntnisse, ein anderes eine Sonderabgabe, die der Arbeitgeber in einen Fonds einzahlt, um beispielsweise eine Weiterqualifizierung oder Sozialleistungen im Falle einer etwaigen späteren Erwerbslosigkeit zu finanzieren. Auch die Zugehörigkeit zu einem Mangelberuf könnte ein solches Kriterium sein.“

Allerdings sollten die Steuerungsmöglichkeiten eines Einwanderungsgesetzbuchs nicht überschätzt werden: Das deutsche Einwanderungsrecht ist nur ein Faktor, der Zuwanderung beeinflusst. Denn vieles ist bereits auf europäischer Ebene geregelt. Vor allem für den Bereich Flucht und Asyl sowie in ausgewählten Bereichen der Erwerbsmigration ist Brüssel als Ort der Normsetzung mittlerweile wichtiger als Berlin; exemplarisch zeigt dies die Blaue Karte EU zur Zuwanderung von Hochqualifizierten, über deren Reform gerade auf europäischer Ebene verhandelt wird („Grenzen im Recht“). Außerdem wiegen für individuelle Migrationsentscheidungen andere Faktoren oft schwerer, zum Beispiel die im Land gesprochene Sprache, die wirtschaftliche Situation oder soziale Netzwerke („Grenzen des Rechts“).

„Über verbesserte Zuwanderungsregelungen für bereits beruflich Qualifizierte hinaus könnte Deutschland langfristig mit Ausbildungspartnerschaften andere Länder dabei unterstützen, mit deutschen Standards vergleichbare Strukturen der dualen Ausbildung aufzubauen“, führt Prof. Bauer die Vorschläge des SVR-Jahresgutachtens aus. „Davon würden diese Länder profitieren. Damit wäre es außerdem für Absolventinnen und Absolventen dieser Ausbildungsgänge leichter, die Gleichwertigkeit ihrer Berufsausbildung nachzuweisen, falls sie sich dafür entscheiden, nach Deutschland zu ziehen. Denkbar wäre auch, junge Schulabgängerinnen und Schulabgänger aus Drittstaaten stärker als bisher dazu anzuregen, für die Ausbildung nach Deutschland zu kommen – und ihnen dabei praktisch unter die Arme zu greifen.“
Das SVR-Jahresgutachten betont mit Blick auf die Erwerbsmigration darüber hinaus, dass zwischen schrumpfenden ländlichen Regionen und wachsenden Großstädten große strukturelle Unterschiede bestehen. „Angesichts regionaler Besonderheiten sind spezielle Zuwanderungsprogramme denkbar“, so Prof. Bauer. „Beispielsweise können schon jetzt Mangelberufe regional ausgewiesen werden; für entsprechende Fachleute ist die Zuwanderung in diese Regionen dann leichter. Außerdem sollte ein regionales oder kommunales Bleibemanagement dafür sorgen, dass die Angeworbenen auch langfristig vor Ort bleiben möchten und eine neue Heimat finden.“   

Für die Integrationspolitik von Bund, Ländern und Kommunen empfiehlt der SVR:

Für Flüchtlinge, sonstige Neuzuwandernde wie für Alteingesessene gilt im Hinblick auf Integration: Die gesellschaftliche Teilhabe jedes einzelnen Menschen ist individuell verschieden und in verschiedenen Teilbereichen des gesellschaftlichen Lebens unterschiedlich stark ausgeprägt; der Staat kann dies nur bedingt steuern, aber die Rahmenbedingungen für eine gelingende Integration schaffen. Außerdem ist eine adäquate Ausgestaltung der allgemeinen Regelsysteme im Sinne eines sog. Mainstreamings in den entsprechenden Fachpolitiken (also der Bildungs-, der Familien- oder der Arbeitsmarktpolitik) wirkungsvoller und auch systematisch überzeugender als Spezialgesetze, die sich nur auf Personen mit Migrationshintergrund beziehen. „Um beispielsweise Integration in und durch Bildung zu ermöglichen, bedarf es keiner Integrationsgesetze, sondern eines durchlässigen Bildungssystems, das Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichen Ausgangslagen die gleichen Zugangschancen gewährt. Eine solche Politik kommt der gesamten Gesellschaft zugute“, betont Prof. Bauer. „Nur dort, wo es unerlässlich ist, sind Sonderprogramme sinnvoll – beispielsweise Integrationskurse, die neu Zugewanderten helfen, das Leben in Deutschland zu verstehen und die Sprache zu erlernen.“

Um zu erfassen, wie sich Integrationsprozesse entwickeln, sollte der Bund ein Integrationsmonitoring gesetzlich verankern. „Die entsprechende Absicht der neuen Regierung ist daher sehr zu begrüßen. Dieses sollte sich nicht auf den strukturellen Bereich von Integration – Arbeitsmarkt, Bildung – beschränken, sondern darüber hinaus soziale und kulturelle Integration erfassen“, unterstreicht Prof. Bauer. „Das Beobachtungssystem in Deutschland muss insgesamt verbessert werden: Es muss einheitliche Indikatoren verwenden und dieselben Zielgruppen betrachten. Nur dann sind die zu verschiedenen Zeitpunkten gemessenen Werte vergleichbar.“ Auch sollte die Fluchtzuwanderung der letzten Jahre gesondert erfasst werden, um die Integration der Flüchtlinge und der übrigen Zuwanderungsbevölkerung getrennt analysieren zu können.

Das SVR-Jahresgutachten empfiehlt dringend, die interkulturelle Öffnung der Verwaltung auf allen föderalen Ebenen voranzutreiben und festzuschreiben. Dabei sollten über die Personalentwicklung hinaus alle Angebote und Strukturen einbezogen werden. „Es mangelt noch an einer Integrationspolitik aus einem Guss“, so Prof. Bauer. „Die Kohärenz der Politik ließe sich durch eine bessere Ressortkoordination erhöhen, z. B. im Bereich der Kompetenzfeststellung. Bund, Länder und Kommunen sollten ihre Politik besser aufeinander abstimmen. In den einschlägigen Ministerien könnten weitere Fachbereiche für Integrationsfragen eingerichtet werden. Gleichzeitig müsste sichergestellt sein, dass diese ressortübergreifend zusammenarbeiten. Hierfür könnte eine ständige Runde der Staatssekretäre und -sekretärinnen Sorge tragen, die politikfeldübergreifende Strategien abstimmt. Auch das Bundeskanzleramt könnte eine koordinierende Funktion übernehmen. Ein neuer Nationaler Aktionsplan Integration ist als Impulsgeber und Richtschnur denkbar.“

Auch wenn sich die individuelle Integration nicht gesetzlich verordnen lässt und viele entscheidende Aspekte Gegenstand der Fachpolitiken sind, können Integrationsgesetze, wie sie in einigen Bundesländern bereits verabschiedet wurden, aus Sicht des SVR wirken: Sie können Ziele und Richtung vorgeben, die Strukturen auf Landes- und kommunaler Ebene für eine erfolgreiche Integrationspolitik schaffen, und deutlich machen, dass Integration als Querschnittsaufgabe von der Politik erkannt und angegangen wird. Eine andere Option bilden Integrationskonzepte, die vor allem auf Länder- und kommunaler Ebene genutzt werden. Ob Integration auf Landesebene durch Konzepte oder Gesetze gestaltet wird, ist dabei weniger entscheidend als eine konsequente Umsetzung und ein gutes Integrationsmonitoring.

Den Kommunen kommt bei der Integration von Zuwanderern und Zuwanderinnen eine Schlüsselrolle zu. Ein Problem, das sich durch zahlreiche integrationspolitische Handlungsfelder zieht, ist die Unübersichtlichkeit und oft fehlende Koordination der zahlreichen lokalen Integrationsangebote. Dadurch entstehen Doppelstrukturen und Reibungsverluste, und die potenziellen Adressaten finden die für sie passenden Angebote oft nicht. „Der Flüchtlingszuzug hat die Integrationspolitik der Kommunen auf den Prüfstand gestellt und gezeigt, dass diese die großen Herausforderungen insgesamt gut gemeistert haben“, meint Prof. Bauer. „Er hat aber auch gezeigt, dass noch viel zu tun ist – etwa bei der Koordination und Abstimmung von Maßnahmen und deren Nachhaltigkeit. Es ist daher wichtig, die guten Ansätze hierzu zu verstetigen und auszubauen, wenn nötig mit Hilfe von Bundesmitteln.“

Einwanderungs- und Integrationsgesetze haben – auch jenseits ihrer konkreten Steuerungswirkung – Signalfunktion nach innen wie nach außen, so das Fazit des Gutachtens. Der SVR-Vorsitzende Prof. Thomas Bauer betont: „Wenn auf der Bundesebene ein Einwanderungsgesetz verabschiedet wird, kann das innerhalb der Gesellschaft einen Prozess der Reflexion und Selbstvergewisserung in Gang setzen. Der ist auch geboten, schließlich ist Deutschland schon aus demografischen Gründen auf Zuwanderung angewiesen. Integrationsgesetze können helfen, sich darüber zu verständigen, wie das Zusammenleben in einer Einwanderungsgesellschaft wie der deutschen aussehen soll. In diesem Sinne ist die belebte Debatte in Deutschland klar zu begrüßen.“

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