Wer geht hier wählen?

Bei der Bewegung "Demo" haben sich junge Leute zusammengetan, um ihre Generation davon zu überzeugen, dass Demokratie gepflegt werden muss und Einsatz verlangt. Ein Workshop zeigt, dass Politik Spaß machen kann und dass es sich lohnt, mitzumachen.

Eva Wolfangel | Juli 2017
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Foto: Jens Küsters

Das sitzt. "Wenn wir Europa kaputt machen, sind wir die dümmste Generation, die je gelebt hat." Mit diesem Satz wurde TV-Moderator Klaas Heufer-Umlauf im April zum Social Media Hit. Mit seiner Aussage hat er das Lebensgefühl von Elsa, Hanna, Anna, Oliver, Flavia und Xifan ziemlich gut getroffen. Deswegen zeigen sie die Szene mit Heufer-Umlauf auch auf der Leinwand im Seminarraum an der Krankenpflegeschule München. Hier geben die sechs einen Demokratie-Workshop und übernehmen damit  zum ersten Mal in ihrem Leben die Rolle der Lehrer, dabei sind sie nur wenig älter als ihre Zuhörer an diesem Tag: etwa 60 junge Menschen in ihrem ersten Ausbildungsjahr zum Krankenpfleger.

Die sechs kennen sich über eine Facebook-Gruppe namens Demo, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Desinteresse zu stoppen, junge Menschen wieder für Politik zu begeistern und kurzum: Europa zu retten. "Politik wird für Ältere gemacht, wir Jungen sind in der Minderheit", ruft Xifan in den Raum. "Wenn wir jetzt nicht einmal wählen gehen, dann verspielen wir unsere Zukunft."

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Foto: Jens Küsters

"Was würdest Du in Deutschland verändern?" Die angehenden Krankenpfleger entwickelten im Demokratie-Workshop ihre politische Agenda.

Demokratie als Gemeinschaftsprojekt

Nur, wie bringt man jungen Leuten nahe, dass sie wählen sollen, für ihre Interessen eintreten, dass Politik sogar Spaß machen kann? Die Jugendbewegung Demo will genau das vermitteln und die junge Generation zum Wählen motivieren. Deutschlandweit vernetzen sich Menschen in Regionalgruppen und organisieren Veranstaltungen vor Ort, die nicht nur Spaß machen, sondern auch ein Zeichen setzen: gegen  Rassismus, Sexismus, Nationalismus und Rechtspopulismus.

Das Demo-Projekt ist eines von vielen, das von der Robert Bosch Stiftung im Rahmen der Aktionen für eine Offene Gesellschaft gefördert wird. Den vielen Aktionen unter diesem Dach ist eine Überzeugung gemein: Demokratie muss gepflegt werden. Es gibt sie nur dann, wenn genügend Menschen für sie eintreten.

"Wir hätten uns ohne Demo nie kennengelernt", sagt Oliver. Jetzt sind sie ein eingeschworenes Team, das wohl nie in dieser Rolle gelandet wäre, wenn ihnen nicht eines klar geworden wäre: Wir müssen handeln, wir müssen raus aus Facebook und ins echte Leben. Es ist unsere Verantwortung, unsere Generation anzusprechen. Die Münchener Demo-Gruppe hat lange getüftelt und schließlich den Workshop für die Münchner Krankenpflegeschule ausgearbeitet.

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Foto: Jens Küsters

In sechs Gruppen haben die Jugendlichen ein kleines Parteiprogramm erarbeitet.

Diskutieren - streiten - lachen

"Was würdest Du in Deutschland ändern?", erscheint als Frage auf der Leinwand. Den angehenden Krankenpflegern fällt vieles ein: bezahlbare Mieten, ein höheres Einkommen in Sozialberufen, keine Vorurteile gegen Flüchtlinge, mehr Toleranz, günstiger Nahverkehr, kostenlose Kitas, mehr Datenschutz und vieles mehr.

Dann wird gefeilscht: die Schüler werden in sechs zufällige Gruppen eingeteilt, jede soll eine Partei gründen und sich auf einige Programmpunkte einigen. "Frauen sollen gleich viel verdienen wie Männer", schlägt eine Schülerin in Gruppe 6 vor. Ihr Mitschüler findet, Bezahlung solle von der Leistung abhängen: wer viel leistet, soll viel verdienen, unabhängig vom Geschlecht. Die neuen Parteidelegierten reden sich die Köpfe heiß. Was ist hier gerecht? "Gleiches Geld für gleiche Arbeit", steht später in ihrem Programm, und beim Thema Einwanderung: "Wer sich integriert, soll bleiben dürfen." An den sechs Tischen wird diskutiert,  gestritten und vor allem: gelacht. Politik kann Spaß machen!

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Foto: Jens Küsters

Politik kann Spaß machen - eine Botschaft, die bei den Berufsschülern ankam.

Später gibt’s noch ein Quiz, bei dem die Gruppen Aussagen aus Wahlprogrammen den richtigen Parteien zuordnen müssen. "Was will eigentlich die FDP", fragt eine Schülerin. "Das ist mir gar nicht so richtig klar." Wer will die Geheimdienste abschaffen, wer die Autobahnen privatisieren, wer ist für Volksabstimmungen und wer gegen Klimaschutz? Nicht alle Zettel landen am richtigen Platz, wie die Auflösung zeigt. Aber viele. "Mir ist viel klarer geworden, welche Partei wofür steht und wen ich wählen könnte", sagt eine Schülerin nachdenklich.

Am Ende traut sich Xifan, die alles entscheidende Frage zu stellen: "Wer von euch geht im September wählen?" Etwa die Hälfte der Schüler hebt die Hand. Enttäuschte Gesichter vorne an der Tafel. "Und der Rest?", fragt Xifan mit leicht zitternder Stimme. "Ist noch 17!", ruft jemand rein. Die Schüler applaudieren und grinsen. "Wer würde wählen gehen, wenn er dürfte?" ruft Xifan erleichtert. Alle Hände gehen hoch. Xifan und ihre Freunde sind ihrem großen Ziel ein kleines Stückchen näher gekommen.
 

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