In welcher Stadt wollen wir leben?

Berlin - Peking, Bonn - Chengdu, Essen - Changzhou. Über 100 chinesische und deutsche Städte pflegen Partnerschaften. In Berlin trafen sich "Stadtmacher" aus beiden Ländern auf Einladung der Stiftung, um Ideen auszutauschen, wie sich lebenswerte Städte gemeinsam gestalten lassen.

Robert Bosch Stiftung | Oktober 2016

Stadtmacher aus China und Deutschland trafen sich am 28. und 29. September in der Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung in Berlin. In Workshops, Strategie-Laboren und auf Exkursionen in der Hauptstadt ging es um neue Möglichkeiten der Kooperation zwischen beiden Ländern. Schon beim Auftakttreffen entstanden erste Strategien und Visionen, wie sich lebenswerte Städte gemeinsam gestalten lassen.

Berlin - Peking, Bonn - Chengdu, Essen - Changzhou. Über 100 chinesische und deutsche Städte pflegen Partnerschaften. Die Formate und Qualität dieser Kooperationen fallen sehr unterschiedlich aus. Es gibt enge Verbindungen mit regelmäßigem Austausch und gemeinsamen Projekten und es gibt Initiativen, die nach Unterzeichnung der Dokumente im Sande verlaufen. Die Robert Bosch Stiftung möchte im Rahmen ihres neuen Förderschwerpunkts "Zukunftsfähige Lebensräume" ein interdisziplinäres Netzwerk für lebenswerte Städte errichten, den sektorenübergreifenden Austausch zwischen deutschen und chinesischen Stadtmachern verstärken, innovative Ideen und Projekte fördern und deren Reichweite erhöhen.

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Jan Siefke

"Wir glauben, dass wir die Menschen stärker in den Mittelpunkt von Stadtplanung rücken müssen, und das geht nur über die Beteiligung der Bürger", sagte Uta-Micaela Dürig, Geschäftsführerin der Robert Bosch Stiftung, zur Begrüßung der rund 100 Teilnehmer aus China und Deutschland zum Stadtmacher-Forum in Berlin. Forum und Projekt setzt die Stiftung zusammen mit der Agentur Constellations um. Unter den Teilnehmern in Berlin waren Architekten, Stadtplaner, Wissenschaftler, Vertreter chinesischer und deutscher Städte und Verbände sowie Historiker, Künstler und Studierende. Stadtmacher, so das einhellige Verständnis, sind aber grundsätzlich alle Bürger, die ihr Recht auf eine lebenswerte Stadt aktiv verfolgen möchten.
 

"Kooperation geht auch durch den Magen"

Zum Auftakt präsentierten Praktiker ihre Konzepte und Visionen. Der Sozialunternehmer Kenny Choi betreibt einen Co-Working-Space im südchinesischen Guangzhou, der Raum für soziale Innovationen und die Bedürfnisse der Bürger bieten soll. Darüber hinaus besucht er weltweit "Changemaker" wie die Gründer des Betahauses in Berlin und interviewt sie für seinen Blog. Liu Jiaqi, Geschäftsführerin des privaten Kulturzentrums "Chinabrenner" in Leipzig, vermittelt deutschen Gästen die Traditionen ihres Heimatlandes. "Wir sollten die Rolle guten Essens für erfolgreiche Stadtkooperationen nicht unterschätzen", sagte sie.

Auch Gerd Kronmüller, zuständig für Internationale Beziehungen beim Berliner Senat, und Wolfgang Schmidt, Staatsrat für Internationales der Hansestadt Hamburg, berichteten von ihren Erfahrungen. Schmidt lobte die über 30-jährige Partnerschaft seiner Stadt mit Shanghai und stellte am Beispiel der Unterbringung von Flüchtlingen Möglichkeiten zur direkten Teilhabe von Bürgern vor.

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Wolfgang Schmidt, Hamburg State Councilman for International Affairs

Berlin ist ein Labor

Im Fokus der Veranstaltung stand die Arbeit in sechs Kleingruppen. Fünf von ihnen erkundeten das "Stadtlabor" Berlin, wo es viele Beispiele gibt, wie sich der eigene Lebensraum selbst gestalten lässt. Eine Gruppe besuchte das Tempelhofer Feld und eine Fischzucht im städtischen Raum. Ihre Frage: Lassen sich diese Konzepte auch auf China übertragen? Andere Teilnehmer besuchten Haus- und Wohnprojekte und diskutierten über die Zukunft des Wohnens in beiden Ländern. Eine dritte Gruppe zum Thema "Urban Gardening" besuchte die Berliner Prinzessinnengärten. Und da Menschen neben Wohnraum und Essen auch kulturelle Angebote benötigen, ging es in einem vierten Workshop um Stadtkultur und Identität. Mit Zeichenblock und Stift wandelte eine fünfte Gruppe entlang der Spree, um den öffentlichen Raum malerisch zu beobachten und zu beschreiben.

Eindrücke, Ideen und Fotos der Exkursionen erreichten per Kurznachrichtendienst die Repräsentanz der Stiftung. Studenten der Bauhaus-Universität Weimar, die sich "Raumstation-Kollektiv" nennen, bereiteten die in Echtzeit einfliegenden Informationen auf und präsentierten sie in einer eigens gezimmerten "Stadtmacherbehörde". So erfuhren die Teilnehmer des Strategy Lab, die in der Repräsentanz geblieben waren, zeitnah, was die Exkursionsteilnehmer bewegte und welche Ideen sie diskutierten. Diese sechste Gruppe nahm konkrete Verbesserungsvorschläge für die existierenden Städtekooperationen in den Blick. Kritisch betrachtet wurden beispielsweise die ungleichen Vorstellungen über Art, Ziele und Reichweite von Kooperationen sowie die mangelnden personellen und finanziellen Ressourcen in den Verwaltungen. "Wenn man sich um Gelder bewirbt, sind die Prozesse sehr umständlich und aufwändig", sagte ein Teilnehmer. In Untergruppen diskutierten die Teilnehmer der Strategierunde dann mit Repräsentanten von Berlin, Bonn und Essen über konkrete Ansätze von Stadtpartnerschaften. Welche Bedürfnisse, Mittel und Akteure gibt es? Welche Ideen und Visionen sind denkbar? Tenor: Statt großer Pläne auf offizieller Ebene sollte der Fokus zunächst auf bestehenden Kontakten über Studenten und Firmen liegen sowie vor allem auf der Projektebene vertieft werden.

Wie geht es weiter?

Höhepunkt des Stadtmacher-Forums war der Abend des zweiten Tages: alle Gruppen präsentierten ihre Vorschläge in einem öffentlichen Forum. Gastredner war Gunther Adler, Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Seine Kernbotschaft: "Städte müssen ein Ort für alle Menschen sein, die in ihnen leben." Diesen Anspruch spiegeln auch die Ideen der Gruppen wider. So wurde unter anderem eine Plattform vorgeschlagen, die Freiwillige, Administration und externe Kulturbotschafter zusammenbringt. Letztere könnten bei Konflikten zwischen den Wünschen der Bürger und der Verwaltung vermitteln. Für den Bereich Wohnen schwebt den Teilnehmern ein "Starter Kit" vor, das universell von Stadtmachern angewandt werden könnte, um Wohnen in einem gemeinschaftlichen Raum für alle Menschen zu ermöglichen. Diese und weitere Vorschläge sollen im Stadtmacher-Netzwerk in den nächsten Monaten weiter verfolgt, vertieft und in Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträger umgewandelt werden. Der Abend schloss mit dem Aufruf an alle "Jia you – Lasst uns loslegen!"

(David Weyand, September 2016)