"Der Fortschritt aus sieben Jahrzehnten ist in Gefahr"

Die amerikanische Denkfabrik The Brookings Institution und die Robert Bosch Stiftung bauen ihre Zusammenarbeit aus: In der "Transatlantic Initiative" bearbeiten sie aktuelle Fragen der transatlantischen Politik und des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Europa und den USA. Zum Auftakt erklärt Brookings-Präsident Strobe Talbott, warum gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für die Initiative ist und was sie leisten soll.

Robert Bosch Stiftung | April 2017
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Welche Ergebnisse sollte die "Brookings – Robert Bosch Foundation Transatlantic Initiative" hervorbringen, damit sie von Ihnen als erfolgreich angesehen wird?

Strobe Talbott: Das Ziel ist einfach und ambitioniert zugleich, ja sogar respekteinflößend: Die Zusammenarbeit von Brookings und der Robert Bosch Stiftung dient dem Zweck, kühne und dennoch pragmatische Lösungen der Probleme - oder gar Bedrohungen - zu erarbeiten, die die transatlantische Gemeinschaft beschäftigen. Die Aufgabe von Brookings ist es, zur Verbesserung der Staatsführung beizutragen, wie auch von Vereinbarungen, Richtlinien und Institutionen, die die Zusammenarbeit von Nationalstaaten regeln. Vor allem Deutschland war und ist entscheidend, wenn es um die Entwicklung eines integrierten Europas geht. Die Vereinigten Staaten haben diese Entwicklung seit Verabschiedung des Marshallplans - eines Transformationsprojekts, an dessen Realisierung Brookings beteiligt war - unterstützt. Der Fortschritt, der in den letzten sieben Jahrzehnten erreicht wurde, ist auf beiden Seiten des Atlantiks gerade in Gefahr. Brookings und die Robert Bosch Stiftung sind den Werten und Interessen, auf denen der Atlantizismus basiert, gleichermaßen verpflichtet. Unsere Kooperation ist nicht nur von entscheidender Bedeutung - sie war nie zeitgemäßer als jetzt.


In jüngster Zeit waren verschiedene Teile der Bevölkerung im Westen der Ansicht, ihr wirtschaftlicher Standard sinke. Einige geben der Globalisierung und der Migration die Schuld daran. Was kann und sollte die Politik tun, um diesem Phänomen zu begegnen?

Wichtig ist, dass wir die unterschiedlichen Ursachen für die Hoffnungslosigkeit und Wut bestimmen und in einem nächsten Schritt mit den Regierungen auf allen Ebenen zusammenarbeiten, auch mit der Bürgergesellschaft und dem Privatsektor, um Abhilfemaßnahmen wie eine Reform des Gesellschaftsvertrags zu finden. Globalisierung an sich ist weder Fluch noch Segen - sie ist eine Realität, die aus der technologischen und der Kommunikationsrevolution erwachsen ist. Sie bedarf einer besseren Steuerung seitens der Nationalstaaten, die unilateral, zugleich aber auch kooperativ im Rahmen multilateraler Institutionen agieren sollten. Migration hängt mit der Globalisierung zusammen: Sie gehört nun einmal zum Leben dazu. Sehr oft bereichert sie die einheimische Bevölkerung - und zwar deutlich häufiger als das Gegenteil davon – und erfüllt die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Der massive Zustrom von Flüchtlingen nach Europa ist größtenteils die Folge gescheiterter Staaten, regierungsfreier Räume, verbrecherischer Regime und schrecklicher Bürgerkriege in anderen Teilen der Welt. Diese Situation, die man als Krisenmigration beschreiben könnte, erfordert nachhaltige, energische Diplomatie, um die internationale Sicherheit weiterhin zu gewährleisten.


Die Wahrnehmung, die traditionelle Politik würde nicht mehr auf einen Großteil der Bevölkerung eingehen, scheint der Hauptgrund dafür zu sein, dass sich die Wählerschaft teilweise politikverdrossen zeigt. Was sind aus Ihrer Sicht die Herausforderungen für die westlichen Demokratien, die sich aus dieser Entwicklung ergeben?

Starke Medien, die - als Gegengewicht zu Fake News und Hetze - verantwortlich handeln und faktenbasiert berichten, sind von enormer Bedeutung und bilden die zentrale Antwort auf diese Frage. In unseren Ländern sollten wir mehr Ressourcen für die Staatsbürgerkunde zur Verfügung stellen: von der Grundschule bis zu den Universitäten. Die etablierten Parteien sollten die Splitterparteien, die es geschafft haben, ihre unzufriedenen Anhänger stärker zu begeistern, endlich ernst nehmen. Für uns Amerikaner gilt: Unser System der Vorwahlen und die in vielen Teilen des Landes herrschende Praxis der Manipulation von Wahlbezirken machen die Demokratie zunichte, das gilt auch für die niedrige Wahlbeteiligung.


Wenn Sie in die Zukunft blicken: Wie wird Ihrer Meinung nach die transatlantische Kooperation in zehn oder zwanzig Jahren aussehen? Was werden die wichtigsten Herausforderungen sein, mit denen man sich auf beiden Seiten des Atlantiks konfrontiert sehen wird?

Es ist eher eine Hoffnung denn eine Meinung: Ich hoffe, wir im Westen werden die aktuellen Probleme lösen und dafür sorgen, dass das System, das in der zweiten Hälfte des 20. bis in die ersten Jahre dieses Jahrhunderts überaus erfolgreich Frieden, Freiheit und Wohlstand garantiert hat und dabei zum Modell für die restliche Welt wurde, wieder funktioniert.

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