Wie Städte die Zukunft Chinas bestimmen

In kaum einem anderen Land schreitet die Urbanisierung so schnell voran wie in China. Eine Studie der Weltbank kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2030 rund 70 Prozent der chinesischen Bevölkerung in Städten leben wird - mehr als eine Milliarde Menschen. Wie kann diese Entwicklung menschlich und nachhaltig gestaltet werden? Eine Diskussion im Rahmen der Veranstaltungsreihe "China im Gespräch".

Robert Bosch Stiftung | Dezember 2016
China im Gespräch Stadtmacher 1200
Anita Back

Es gibt wenige Megatrends, die das 21. Jahrhundert so prägen, wie die zunehmende Urbanisierung. Weltweit ziehen Millionen Menschen vom Land in die Städte, immer auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten, Ausbildungschancen für ihre Kinder und einer funktionierenden Gesundheitsversorgung. Kurz: Nach einem besseren Leben.

In kaum einem anderen Land ist dieser Trend so stark zu spüren wie in China. Eine Studie der Weltbank kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2030 rund 70 Prozent der chinesischen Bevölkerung in Städten leben wird - mehr als eine Milliarde Menschen. Derzeit sind es knapp über 55 Prozent. Damit findet die Urbanisierung in China schneller statt als im weltweiten Durchschnitt. Eine enorme Herausforderung für Verwaltung, Stadtplanung und Wirtschaft, aber auch für die Identität jedes Einzelnen.

Nachhaltige Stadtentwicklung steht im Mittelpunkt

Der Frage, wie diese Herausforderungen im Rahmen der Urbanisierung gemeistert werden können, widmete sich eine Veranstaltung aus der Reihe "China im Gespräch" in der Berliner Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung. Zu besprechen gab es viel: "Werden Chinas Bürger, insbesondere die aufstrebende Mittelschicht, angesichts der zunehmenden Verstädterung mit ihrer Lebensqualität auch weiterhin zufrieden sein?", fragte Thomas Henneberg, Projektmanager der Stiftung und verantwortlich für die Gesprächsreihe, in seinen einführenden Worten vor rund 80 anwesenden Gästen. Nur wenn dies gewährleistet sei, könne die urbane Transformation des Landes als Erfolg bezeichnet werden. "Nachhaltige Stadtentwicklung ist deshalb von entscheidender Bedeutung für die Zukunft Chinas", so Henneberg. Durch die Veranstaltung führte Nadine Godehardt, stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe "Asien" bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Katja Hellkötter wies auf die grundsätzliche Notwendigkeit hin, Chinas Städte lebenswerter zu gestalten. "Urbanität lebt von der Verbindung von Kultur und Natur", sagte Hellkötter. Sie arbeitet seit Jahren an einem erfolgreichen Austausch von Ideen zwischen Deutschland und China zu diesem Thema. 2009 gründete sie in Shanghai die Agentur Constellations International, deren Berliner Büro sie heute leitet. Für die Robert Bosch Stiftung setzt sie seit dem Jahr 2016 das Programm "Stadtmacher China – Deutschland" um, das sich dem Konzept der lebenswerten Stadt widmet und dessen Empfehlungen Hellkötter vorstellte.

Unter Kultur versteht Hellkötter nicht nur kulturelle Einrichtungen, sondern vor allem die Verbindung der Bewohner zur Stadtgemeinschaft. Hinzu komme das grundsätzliche Bedürfnis, mit der Natur im Einklang zu leben.

Chinesische Schrebergärten

Pan Tao aus Shanghai weiß, wovon Hellkötter spricht. Er saß bei der Veranstaltung neben ihr auf dem Podium. Mehrere Jahre lebte, studierte und forschte Pan Tao in Deutschland. Als er nach China zurückkehrte, nahm er eine der denkbar deutschesten Ideen mit: den Schrebergarten.

Etwa eine Autostunde südlich vom Zentrum Shanghais entfernt richtete er vor sechs Jahren den Ecoland Club ein, einen 8,5 Hektar großen Bio-Bauernhof, auf dem Städter mit Sehnsucht nach dem Grünen einzelne Parzellen selbst bestellen können. Das Land pachtete er von den örtlichen Behörden.

Das Projekt ist ein großer Erfolg. "Am Anfang wollten meine Frau und ich nur jedes Wochenende dem Beton der Stadt entkommen", so Pan Tao. Doch mit seiner Idee traf er einen Nerv. Heute sind alle Parzellen vergeben. Dreihundert Menschen sind bereits Teil des Projekts. Die Warteliste ist lang. "Wir sind wirklich eine kleine Gemeinschaft geworden." Freundschaften seien entstanden, Kinder könnten im Freien spielen. "Aus einer Wochenend-Aktivität ist etwas Besonderes entstanden."

WeGarden - grüne Inseln der Metropole

Das besondere Etwas konnte Pan Tao mittlerweile auch in die Innenstadt tragen. Dort  betreibt er bereits vier Gemeinschaftsgärten, grüne Inseln in der 24-Millionen-Einwohner Metropole. Sie werden "WeGarden" genannt - in Anlehnung an die erfolgreiche chinesische Variante von WhatsApp, "WeChat", so Pan Tao. Im kommenden Jahr werde es in ganz Shanghai mehr als 100 solcher Gemeinschaftsgärten geben.

Die Idee ist mittlerweile auch außerhalb von Shanghai auf Interesse gestoßen. In anderen Metropolen wie Beijing, aber auch in den aufstrebenden Städten wie Changsha, gebe es einen großen Bedarf an Schrebergärten, die einen großen Beitrag zur Lebensqualität leisteten, erklärte Pan Tao. "Ich würde mir wünschen, dass wir in China in zehn Jahren eine Million städtische Gärten haben", sagte er. Damit würde China mit Deutschland, immerhin Heimat des Schrebergartens, gleichziehen.

Pan Taos Projekt bereichere das Stadtleben und passe so perfekt in das Stadtmacher-Programm, sagte Hellkötter. "Wir suchen Menschen, die Räume individuell gestalten", sagte sie: "Wir brauchen mehr Pan Taos in China."

Sie hob hervor, wie wichtig die Kooperation zwischen deutschen und chinesischen Städten, aber auch die interdisziplinäre, vertikale Zusammenarbeit über verschiedene Ebenen hinweg sei, um die Lebensqualität in den urbanen Zentren zu verbessern. Das Stadtmacher-Programm biete eine Möglichkeit, Ideen und Erfahrungen auszutauschen und bestehende Strukturen wie Städtepartnerschaften zu nutzen, um neue Ansätze und Ideen zur nachhaltigen Stadtentwicklung umzusetzen.

(Julian Heißler, November 2016)