Teilhabe von Anfang an ermöglichen

Selten war die Bereitschaft so groß, ein Ehrenamt zu übernehmen, wie aktuell in der Flüchtlingsarbeit. Noch nie entstanden in Deutschland so viele neue Initiativen in so kurzer Zeit. Eine Chance, aber auch eine enorme Herausforderung für den zivilgesellschaftlichen Sektor. Wie die Arbeit für und mit Flüchtlingen gelingen kann, stand im Fokus der Fachtagung "Integration heißt Teilhabe".
Robert Bosch Stiftung | Juni 2016

"Noch vor zwei Jahren hätte niemand gedacht, dass so viele Menschen helfen wollen", sagt Aydan Özoğuz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, zur Eröffnung der Fachtagung "Integration heißt Teilhabe". Damit meint die Politikerin die Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen, die im letzten Jahr in Deutschland stark gewachsen ist.

Wie politische und gesellschaftliche Teilhabe von Flüchtlingen gelingen kann, darüber tauschten sich auf der Fachtagung der Stiftung Mitarbeit rund 150 Teilnehmer aus, darunter Vertreter aus Kommunen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, ehrenamtlich Engagierte sowie Menschen mit Fluchterfahrung und Selbstorganisationen von Flüchtlingen. Die Robert Bosch Stiftung förderte die Tagung "Integration heißt Teilhabe - Partizipation und Engagement für, mit und von Flüchtigen", die am 21. und 22. Juni 2016 in der Berliner Repräsentanz der Stiftung stattfand, um das ehrenamtliche Engagement für und mit Flüchtlingen in Deutschland zu unterstützen und deren gesellschaftliche Teilhabe zu stärken.

Özoğuz stimmt zu, dass Politik und Gesellschaft auf die große Zahl von Flüchtlingen nicht vorbereitet waren. In vielen Fällen haben darum Ehrenamtliche bei der Aufnahme, Betreuung und Unterstützung von Flüchtlingen die Verantwortung übernommen. In ihrer Eröffnungsrede sprach Özoğuz über die Rolle des sozialen Engagements und die aktuelle Lage in der Flüchtlingspolitik:

Selten war die Bereitschaft ein Ehrenamt zu übernehmen so hoch und noch nie entstanden so viele neue Initiativen in so kurzer Zeit. Denn Flüchtlingsarbeit geschieht vor Ort, in den Kommunen, in Vereinen, Nachbarschaftszentren und Schulen. Genau das stellt den zivilgesellschaftlichen Sektor vor neue Herausforderungen:

  • Wie können sich die Organisationen vernetzen?
  • Wie werden Helfer ausreichend geschult und auf die Aufgaben vorbereitet?
  • Wie geht man mit der Heterogenität der zivilgesellschaftlichen Akteure um?
  • Wie kommen wir weg von einem "über Flüchtlinge reden" hin zu einem gemeinsamen Arbeiten an gesellschaftlichen Fragen, Themen und Aktivitäten?

 

In mehreren Workshops wurden diese aktuellen Themen diskutiert. So sprachen beispielsweise in der Runde "Integration geschieht im Stadtteil" Vertreter von Städten, städtischen Einrichtungen und ehrenamtlich engagierte Teilnehmer darüber, wie Partizipation direkt vor Ort gelingen kann. Dabei kam heraus, dass die Flüchtlinge schon in kleine Entscheidungen mit eingebunden werden sollten. "Wir planen oft Aktivitäten und Veranstaltungen, um die Geflüchteten stärker einzubeziehen, aber wir vergessen oft, die Menschen selbst zu fragen, was sie wollen", meldete sich eine Teilnehmerin zu Wort. Isabelle Franz von der Freiwilligenagentur Volkssolidarität Spremberg in Brandenburg stimmte dem zu: "Man spricht so gerne über, aber nicht mit den Menschen". Bei der Gestaltung eines Integrationskonzepts in ihrer Stadt regte sie an, eine Person mit Fluchterfahrung in den Arbeitskreis aufzunehmen, um die wirklichen Problempunkte erkennen zu können.

In den Workshops zeigte sich vor allem Handlungsbedarf angesichts der Unterschiede, wie Kommunen Flüchtlinge vor Ort aufnehmen. Auch der Unterschied zwischen Stadt und Land ist groß, beispielsweise bei Infrastruktur und Mobilität oder den zivilgesellschaftlichen Angeboten wie Bürgerzentren.

Einige Flüchtlinge haben auf der Fachtagung ihre Geschichte erzählt. So stellte ein junger Mann, der aus Afghanistan geflohen ist, die Frage, warum er im Gegensatz zu Flüchtlingen mit "guter Bleibeperspektive" keinen Zugang zu Sprach- und Integrationskursen erhalte und nach wie vor auf seine Anhörung warte.

Am Ende der Veranstaltung brachte Professor Dr. Roland Roth die Thematik auf den Punkt: "Flüchtlinge, die heute hier sind, haben ein Anrecht auf Teilhabe". Aktiv werden in diesem Feld sei fast notgedrungen ein politisches Thema, es gehe dabei "um das Öffnen oder Schließen unserer Gesellschaft". Deshalb sollte bürgerschaftliches Engagement mehr Gehör auf politischer Ebene finden, so Roth.

Um das zu erreichen, fand abschließend ein Forumsgespräch mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft statt, bei dem die Ergebnisse und Anstöße aus den Workshops diskutiert wurden. Das Fazit war ein Appell, auch über Sektorengrenzen hinweg ins Gespräch zu kommen und sich auszutauschen - und die Ermutigung an alle Ehrenamtlichen, Selbstvertrauen für die geleistete Arbeit zu zeigen.

Ottilie Bälz, Leiterin des Themenbereichs Gesellschaft der Robert Bosch Stiftung: "Wir wollen als Stiftung unseren Beitrag für gesellschaftliche und politische Teilhabe leisten. Die Entwicklungen der letzten Monate machen mir Mut für die Zukunft".